In der Schule kann das Spiel nicht Selbstzweck sein, sondern ein Mittel, ein Messinstrument, das sich für didaktische Zwecke nutzen lässt. Im Rahmen der BNE eignet sich das Spiel perfekt, um typische Problemsituationen der nachhaltigen Entwicklung zu gestalten. In diesen Situationen muss ein Ausgleich zwischen Wissen, Regeln – die auch quantitativ festgelegt sein können – und den nicht quantifizierbaren wertebasierten Entscheidungen der Mitspielenden gefunden werden. Das Finden solcher Gleichgewichte gehört zu den grundlegenden Herausforderungen der BNE.
Eignen sich alle Spiele gleich gut? Müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein oder gibt es Einschränkungen?
Viele Spiele zur nachhaltigen Entwicklung sind Simulationen, die teilweise extrem komplex sind und ausschliesslich zum Erlernen bestimmter Verhaltensweisen führen: Eine gefährliche Folge davon ist, dass die Leute nur spielen lernen! Das Spiel sollte aber als Instrument und nicht als Selbstzweck betrachtet werden. Ein Lernspiel im Rahmen der BNE muss zum Denken anregen, Probleme aufwerfen und von Wissen und Werten ausgehend das Problemverständnis wecken. Das setzt voraus, dass eine Vielzahl von Lösungen möglich ist, die alle nachhaltig sind, jedoch mit unterschiedlichen Kosten ökologischer, ökonomischer und sozialer Natur verbunden sind. Beim Waldspiel müssen sich die Schüler/-innen zum Beispiel entscheiden, ob sie Holz schlagen oder lieber das Ökosystem Wald schützen möchten. Den Spieler/-innen wird somit die Verantwortung für die Wahl einer Lösung überlassen. Aufgrund der Vielzahl der möglichen Lösungen ist die Nachbesprechung ein wesentlicher Teil des Spiels! Bei Jugendlichen geht es darum, sich über die verschiedenen Strategien auszutauschen, die zu einer unglaublich komplexen Vielfalt von Verhaltensweisen führen, und diese Strategien miteinander zu vergleichen. Erst die Nachbesprechung macht ihnen die verschiedenen Kompetenzen bewusst, die sie im Spiel benutzt haben.
Das Spiel ist Teil eines breiteren Rahmens
Was erfordert der Einsatz eines Spiels im Klassenzimmer?
Das Spiel muss innerhalb der Schule in einen breiteren Rahmen eingebunden sein. Es ist als didaktisches Instrument zu betrachten, das die Entwicklung der Schüler/-innen und die Professionalität der Lehrperson positiv beeinflussen kann. Im Spiel entwickeln zum Beispiel Kinder schon im Kindergarten eine eigene Vorstellung von Nachhaltigkeit, weil im Vergleich zur Realität der Komplexitätsgrad geringer ist. Die Kinder können sich auf die wenigen Elemente konzentrieren, die ihnen zur Verfügung stehen, und die Lehrperson kann dabei ihr Verhalten beobachten. Ab Primarstufe rücken soziale Regeln verstärkt in den Mittelpunkt: Die Kinder möchten sich als Teil der Erwachsenenwelt fühlen und suchen nach Sicherheit und Bezugspunkten. Zum Beispiel beim ethisch vertrebaren Verhalten, das von der Identitätsbildung bis hin zu Fragen des Umgangs mit Abfällen reicht. Auf der Gymnasialstufe sind die Jugendlichen auf Grund ihrer Mathematikkenntnisse sehr empfänglich für Würfel-, Zahlen- und Brettspiele. Die eingesetzten Kompetenzen betreffen die Partizipation und Kooperation. Im Gegensatz dazu treffen Erwachsene Entscheidungen, die rein wertebezogen sind, und merken im Nachhinein, dass gewisse Entscheidungen weder aus ökologischer noch aus ökonomischer Sicht nachhaltig sind.
Welche BNE-Kompetenzen lassen sich durch Spielen entwickeln? Und welche didaktischen Prinzipien werden damit angegangen?
Die BNE-Kompetenzen, die éducation21 propagiert, wie zum Beispiel Partizipation, Kreativität, Verantwortungsbewusstsein und Kooperation, sind vollumfänglich auf die oben bereits genannten Werte ausgerichtet. Auch wenn die Lehrpersonen sie nicht ausdrücklich als BNE-Kompetenzen beschreiben würden, anerkennen sie diese in ihrer Arbeit. In didaktischer Hinsicht wird sich die Lehrperson der Möglichkeit bewusst, die Wirklichkeit als Modell abbilden zu können. Dies bedeutet Modelle zu entwickeln, die wissenschaftlich, technologisch, aber auch kultureller oder gar dichterischer Natur sind. Bestimmt wäre es optimal, sich die Gegebenheiten vor Ort anzusehen. Doch das ist nicht immer möglich. In diesen Fällen ermöglicht es das Spiel, Prozesse zu beobachten, die sich sonst in Echtzeit und im realen Raum nicht beobachten lassen.
Die Realität nachbilden
In Ihrem Kurs mussten die angehenden Lehrpersonen im Rahmen der BNE ein eigenes Spiel konzipieren und entwickeln. Weshalb werden keine Spiele verwendet, die es bereits gibt?
Die Lehrperson setzt das Spiel mit seinen Zielsetzungen je nach ihrem bisherigen Bildungsweg, Alter, aber auch ihrer eigenen Identität von der Lehrperson unterschiedlich ein. Sie hat insofern einen sehr speziellen Beruf, als dass sie ihre persönliche Identität stark einbringt (wie beispielsweise Pflegefachpersonen und Ordnungshüter). Im Verlauf ihrer Ausbildung verändert sich die Persönlichkeit der Studierenden der DFA erheblich. Sie müssen sich deshalb zuerst selbst mit jenen Fragen der nachhaltigen Entwicklung auseinandersetzen, die sie auf ein Spiel «herunterbrechen» möchten: Wenn sie selbst erleben, was es bedeutet, ein Spiel für Kinder zu entwickeln, verstehen sie wahrscheinlich eher , was dieses Spiel für die Kinder bedeuten wird. Nur so können die künftigen Lehrpersonen das Potenzial und die Grenzen eines Spiels, aber auch ihrer beruflichen Identität erfassen. Sie werden sich beispielsweise bewusst, dass eine nachhaltige Lösung nicht eindeutig ist. So gesehen macht es wenig Sinn, bereits bestehende Spiele zu verwenden.
Wird das Spiel als didaktisches Prinzip an Schweizer Schulen ausreichend genutzt?
Ich glaube, dass Spiele an Schweizer Schulen häufig eingesetzt werden. Was sich ändert, sind der Spieltyp, die Regeln und die Zielsetzungen. Mit vielen Spielen werden Abläufe eingeübt, da die Kinder auch Muster erlernen müssen. Doch der Spielbegriff ist ein weiter Begriff, der entsprechend der didaktischen Situation geformt werden kann. Im Rahmen der BNE müssen Spiele jene Besonderheiten aufweisen, welche die Komplexität der Problemsituationen widerspiegeln. Und durch die Simulation der Wirklichkeit können die Mitspielenden ihr Wissen und ihre Werte in die Diskussion einbringen. Aufgrund ihrer Vielseitigkeit lassen sich diese Spiele vom Kindergarten bis ins Erwachsenenalter einsetzen: Die Lehrpersonen müssen sich bloss ins Spiel bringen!