Unzählige Handlungen in unserem Alltag lassen sich der Wirtschaft im weitesten Sinn zurechnen. Das gilt zum Beispiel, wenn wir etwas kaufen, wenn wir eine Wohnung mieten, wenn wir darüber entscheiden, wo und wie Erspartes investiert werden soll, wenn wir eine Stelle suchen oder wenn wir uns über den Wert einer Währung informieren. Auch die folgenden Fragen hängen mit der Wirtschaft zusammen und gehen uns alle etwas an: Aus welchen Materialien wurde ein Produkt hergestellt? Welche Auswirkungen hat es auf Mensch und Umwelt? Welche Lebensdauer weist es auf? Und was wird aus ihm, wenn es zu Abfall wird? Eine der grössten Herausforderungen für die Gesellschaft besteht darin, eine Zukunft zu gewährleisten, in der die sozialen und materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden können, ohne die Umwelt auf unserem Planeten zu beeinträchtigen. Darüber haben wir uns mit dem Essayisten und ehemaligen Lehrer Maurizio Pallante unterhalten. Er ist Ehrenpräsident des italienischen Movimento della Decrescita felice (Bewegung für eine glückliche Wachstumsrücknahme). Als Einleitung in das Thema setzt er sich mit den Begriffen Wachstum und Wachstumsrücknahme auseinander und räumt mit den üblichen qualitativen Konnotationen auf, die wir häufig mit diesen Begriffen verbinden. Für Prof. Pallante wird die Wachstumsrücknahme nicht erreicht, indem wir uns darauf beschränken, weniger zu produzieren. Vielmehr müssen Kriterien für eine qualitative Beurteilung des menschlichen Handelns eingeführt werden, d. h. möglichst wenig, wenn dies besser ist. Aus seiner Erfahrung als ehemaliger Lehrer und Schulleiter weist Pallante zudem darauf hin, wie wichtig es ist, den Kindern Kenntnisse in Bioökonomie zu vermitteln. Nur so werden sie sich ihres eigenen Handelns bewusst und können die umweltbezogenen und sozialen Herausforderungen angehen, vor denen unsere Gesellschaft steht.
Es ist nicht einfach, in Bezug auf Wirtschaft über Wachstum und Wachstumsrücknahme zu sprechen. Häufig herrscht der Eindruck, dass es sehr schwierig ist, die Bereitschaft/ Notwendigkeit eines quantitativen und qualitativen Wachstums der Wirtschaft mit den Forderungen nach einer Wachstumsrücknahme in Einklang zu bringen. Ist das wirklich der Fall oder bestehen hier grundlegende Missverständnisse?
Zunächst muss klargestellt werden, dass die italienischen Begriffe «crescita» (Wachstum, Zunahme) und «descrescita» (Wachstumsrücknahme, Rückgang) auf eine quantitative Steigerung bzw. Abnahme hinweisen und keine qualitativen Konnotationen aufweisen. Diese Begriffe können eine qualitative Bedeutung beinhalten, wenn sie sich auf Erscheinungen beziehen, die Auswirkungen auf die Qualität des menschlichen Lebens haben. Ist die jeweilige Erscheinung positiv (Zahl der Menschen, die sich angemessen ernähren können, …), steht Wachstum für eine Verbesserung und Rückgang für eine Verschlechterung. Ist die betrachtete Erscheinung negativ (Zahl der Verkehrsunfälle …), entspricht eine Zunahme einer Verschlechterung und ein Rückgang einer Verbesserung. Beim Energieverbrauch erfordert die Reduktion der Verschwendung eine Steigerung der Effizienz in den Umwandlungsprozessen und der letztlichen Nutzung der Energie. Mit einer derartigen Entscheidung lassen sich zahlreiche sinnvolle Arbeitsplätze schaffen. Die Kosten der damit verbundenen Investitionen machen sich bezahlt, weil sich Einsparungen bei den Betriebskosten erzielen lassen. Eine selektive und gesteuerte Reduktion der Verschwendung durch die Entwicklung von fortschrittlicheren Technologien ist die einzige Möglichkeit, die Umweltkrise wie auch die Wirtschaftskrise einzudämmen.
Ist Bildung in wirtschaftlichen Fragen wichtig? Welche Aspekte sollten in der Schule angesprochen werden und weshalb?
Ich bin überzeugt, dass Bildung in Bioökonomie wichtig ist, in jenem Sinn, den ihr der Ökonom Nicolas Georgescu Roegen gibt. In der Schule muss das Bewusstsein geweckt werden, dass jede produktive Tätigkeit Ressourcen nutzt, die der Biosphäre entnommen werden, und sie in Waren umwandelt, die am Ende ihres Lebenszyklus im Abfall landen. Und es ist sehr wichtig zu wissen, dass die Produktionsprozesse mit einer Zunahme der Entropie verbunden sind, d. h. einer Degradation der Energie, die genutzt wird, um die Arbeiten auszuführen. Diese Entropie bezog Georgescu Roegen nicht nur entsprechend dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf die Energie, sondern auch auf die Materie. Denn nicht alle Materialien lassen sich unendlich rezyklieren. Die Kenntnisse über diese Prozesse müssen erworben werden, denn die Kinder müssen wissen, welche Folgen die Handlungen haben, die sie Tag für Tag vornehmen.
Wie könnten diese Aspekte im Unterricht behandelt werden?
Indem über das Verhalten im Alltag nachgedacht wird und indem die Kinder daran gewöhnt werden, den ökologischen Fussabdruck zu berechnen, den sie mit ihrem Verhalten hinterlassen. Unterdessen haben alle gelernt, den Wasserhahn beim Zähneputzen zu schliessen, um kein Wasser zu verschwenden. Das ist sehr erfreulich. Wie viel Wasser wird damit eingespart? Zehn Liter? Doch wie viele wissen, dass zur Erzeugung von 200 g Kalbssteak aus industrieller Tierhaltung 3000 Liter Wasser benötigt werden? Und dass ein Drittel der Landwirtschaftsflächen genutzt werden, um Futter für Tiere zu erzeugen, von denen sich nur etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung ernähren?
Kann die BNE mit ihren Prinzipien und Kompetenzen ein wichtiges Instrument sein?
Den Inhalten und Methoden kann ich mich zwar anschliessen, doch der Definition von nachhaltiger Entwicklung stehe ich kritisch gegenüber. Denn der Begriff Entwicklung ist eine abgemilderte Weise, Wachstum zu definieren. Er setzt voraus, dass ein qualitatives Wachstum möglich ist, obwohl der Begriff Wachstum nur einen quantitativen Wert haben kann. Wird unter nachhaltiger Entwicklung nur die Einführung energiesparender und umweltschonenderer Technologien verstanden, aber nicht gleichzeitig die Ausrichtung der Wirtschaft auf das Wachstum hinterfragt, wird bloss Sisyphusarbeit geleistet. Denn wenn die Umweltbelastung und der Energieverbrauch jedes Produkts verringert, aber zugleich die Menge der Produkte weiterhin erhöht werden, wird damit letztlich nur erreicht, dass sich die Menschheit etwas langsamer auf den Kollaps zubewegt.
Können Sie uns einige didaktische Tipps geben?
Eine wichtige Erfahrung ist das Anlegen eines Gemüsegartens; jede Schule sollte deshalb über einen Garten verfügen. Zudem wäre es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler den Energieverbrauch ihrer Schule berechnen und ein Verhalten entwickeln, das darauf ausgerichtet ist, möglichst wenig Energie zu verschwenden. Sie sollten auch den ökologischen Fussabdruck ihrer Familie berechnen und den Lebenszyklus der Produkte analysieren, die sie benutzen.