Giuseppe Pini

Giuseppe Pini, Observatoire universitaire de la mobilité, Genf

Die Schule muss die Mobilität gesamtheitlich darstellen

Giuseppe Pini, Professor für Mobilität an den Universitäten Genf und Lausanne richtet sein Forschen und Lehren auf globale Auswirkungen der Mobilität aus. «Wer über Mobilität spricht, spricht auch über Gesundheit, Umwelt und soziale Integration», lautet seine Überzeugung.

Das Gespräch mitten in Lausanne mit einem Mobilitätsprofessor gewordenen Geografen verspricht ein Feuerwerk. Die geplante Metamorphose der Stadt, das Schulweg-Projekt «Pédibus», die erste automatische Metro der Schweiz, der Pendlerverkehr auf dem Lac Léman, der Autobahngürtel, der Flugplatz oberhalb der Cité, die Mobilitätswoche im Herbst... lauter Themen, die gut und gerne Stoff für ein mehrtägiges Kolloquium böten. Doch hier geht’s bloss um ein Streiflicht für diese erste Ausgabe von ventuno. Für drei Fragen zwischen zwei Zügen, Start!

éducation21: Was charakterisiert die Mobilität im 21. Jahrhundert?
Giuseppe Pini: Seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir grosso modo für die gleichen Dinge unterwegs: essen, arbeiten, schla- fen, vergnügen. Was ändert, sind die Distanzen, sehr häufig im Privatwagen. Das bedeutet mehr Lärm und Schmutz pro Weg, eine höhere Unfall-Wahrscheinlichkeit, ein schnelleres Altern der Fahrzeuge. Kurz, mehr negative Externalitäten. Diese Externalitäten haben einen Preis, der nicht dem einzelnen Transportmittel oder dessen Benutzer/innen zugeschrieben wird. In der Schweiz schätzen wir sie auf 8,5 Milliarden Franken. Zudem können sich die Menschen heute schnell und über grosse Distanzen bewegen, was die negativen Externalitäten weiter wachsen lässt. Die meisten Leute können wählen, wie sie von A nach B reisen wollen. Nehmen wir doch die jungen 25- bis 35-jährigen, hypermobilen Stadtbewohner/innen. Ihren urbanen Lebensstil pflegen sie in Lausanne, Zürich, London und Barcelona. Sie besitzen vielleicht kein eigenes Auto. Dafür findet man sie im Flugzeug. Auf der einen Seite sagen wir bravo-bravo-bravo für ihr umweltbewusstes Verhalten. Am Schluss fällt ihre Mobilitätsbilanz aber nicht eben positiv aus.

é21: Was möchten Sie den Kindern mit auf den Weg geben für ihr Handeln und Entscheiden im Jahr 2030?
G.P.: Eine ganz einfache Botschaft: seid lokal mobil. Oft fährt man für Dinge weit, die auch hier, gleich um die Ecke erhältlich sind. Das ist ganz bestimmt nachhaltiger und gesünder, man kann zum Teil sogar zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs sein. Unsere Statistiken zeigen im übrigen eine ermutigende Entwicklung. In der Begleitmobilität entdeckt eine junge Elterngeneration immer häufiger wieder das Velo oder den Fussweg, um ihre Kinder zur Schule oder zu Sport- und Freizeitaktivitäten zu begleiten.

Nachhaltige Entwicklung ist nicht ein Thema, sondern eine Haltung.

é21: Wie kann die Schule über Mobilität sprechen?
G.P.: Sie sollte die Mobilität gesamtheitlich darstellen. Es macht nicht Sinn, zum Beispiel den öffentlichen wider den privaten Verkehr zu stellen, oder den Fussmarsch gegen das Auto. Solche Antagonismen werden mit der multimodalen Mobilität verschwinden. Der Unterricht zur Mobilität muss voraus gehen, die Innovation gedeihen lassen. Veraltete Thesen posaunen, das geht nicht. Ein Transportmittel gegen ein anderes ausspielen, das hat nichts mit der Realität gemeinsam. Die Mobilität in ihrer Gesamtheit darzustellen heisst, die Auswirkungen unserer Bewegungen, die berühmten Externalitäten, einzubeziehen. Wenn man das Thema so angeht, kann ein Gespräch über Mobilität beispielsweise zur Ernährung führen (die in unsere Teller trans portiert worden ist), von da zum Wirtschaften in kleinen Räumen (was weniger Transporte erfordert und den Energiekonsum begrenzt) und weiter zur Gesundheit. Die Verknüpfungen wachsen zu einer inneren Logik zusammen, und die Lernenden be ginnen, die Abhängigkeiten zu begreifen.