Intergenerationeller Austausch

Solidarität entsteht mit der gemeinsam verbrachten Zeit

«Wir alle können so viel gewinnen! Die Schülerinnen und Schüler gehen jedes Mal glücklich und zufrieden, voller Begeisterung und Fragen nach Hause, und zugleich erhalten wir auch jedes Mal unzählige dankende Worte von den Menschen des Village solidaire. Bei diesen Treffen gibt es nie einen Flop, sondern immer einen positiven und herzlichen Abschluss.»
Virginie Burnier, Lehrerin, Mont-sur-Rolle

Kurzbeschrieb

Das Projekt der Primarschule von Mont-sur-Rolle umfasst einen regelmässigen Austausch zwischen Schülerinnen und Schülern des Zyklus 2 und pensionierten Personen aus dem Dorf. Sie treffen sich zu punktuellen Aktivitäten, bei denen einmal handwerkliche, dann wieder literarische Themen im Fokus stehen. Dabei kann es um die Herstellung von Dekorationen aus Holz, einen Ausflug ausserhalb des Dorfes, einen Literaturwettbewerb, einen ökologischen Rundgang, die Inszenierung eines Märchens usw. gehen. Dieser intergenerationelle Austausch ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, Solidarität zu erfahren, indem sie auf andere Menschen – in diesem Fall auf Menschen einer anderen Generation – zugehen.

Bildungsziele

  • Jüngere und ältere Generationen im Rahmen einer gemeinsamen Aktivität, bei der sie zusammen Spass haben und Interessen, Wissen und Fertigkeiten miteinander teilen, in Verbindung bringen.
  • Beziehungen im intergenerationellen Austausch erleben und dadurch entdecken und lernen, mit welchen Augen man andere betrachtet.
  • Über Vorurteile nachdenken und den eigenen Blick auf andere überprüfen, indem man Geduld, Einfühlungsvermögen, Toleranz und Wohlwollen übt.
  • Beziehungen zu anderen, Respekt und Kommunikation ausprobieren.
  • Die Solidarität zwischen Schülerinnen und Schülern und älteren Menschen über den Austausch zwischen Generationen stärken.

Besondere Stärken

Perspektiven wechseln

Im Alter von 9–10 Jahren sind Schülerinnen und Schüler noch ziemlich egozentrisch. Durch den intergenerationellen Austausch und die Konfrontation mit Erfahrungen, die sich von ihren eigenen unterscheiden, können sie sich dezentrieren und lernen, ihren Blick nach aussen zu richten. Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass sie andere brauchen und dass Wohlwollen und Solidarität sie weiterbringen und bereichern.

Beziehungen pflegen

Die Schülerinnen und Schüler entdecken, dass die Beziehungen zu älteren Menschen auch freundschaftlich und nicht nur familiär sein können. Dies ist umso wichtiger, als manche Kinder ihre Familie nicht hier haben oder wenig Gelegenheit haben, Zeit mit ihren Angehörigen zu verbringen. Die Schülerinnen und Schüler lieben es, ihren regelmässigen Gesprächspartnerinnen und ‑partnern Fragen zu ihrem früheren Leben oder dazu zu stellen, wie die Schule für sie damals war. Für einige von ihnen wird ihre Duo-Partnerin oder ihr Duo-Partner ein bisschen zu einer Vertrauensperson.

Sich Zeit nehmen

In einer Gesellschaft, in der vieles immer schnell gehen muss, bietet das Projekt die Möglichkeit, sich Zeit für den Austausch zwischen Schülerinnen, Schülern und älteren Menschen zu nehmen.

Begeisterung entwickeln

Der intergenerationelle Austausch bringt nicht nur persönliche Zufriedenheit, sondern auch geteilte Freude und die positive Erfahrung, dass das Gegenüber glücklich ist oder gerne Zeit mit einem verbringt, was wiederum das Selbstwertgefühl stärkt.

Sich als Teil der Welt erfahren

Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrem sozialen und natürlichen Umfeld, insbesondere durch Wohlwollen gegenüber sich selbst, den anderen und der Welt. Die Vielfalt der angebotenen Aktivitäten und die breite Palette der betroffenen Bereiche tragen dazu bei: ein Monat des Wohlwollens, in dem dieses Thema vertieft wird, ein Rundgang unter der Führung eines Naturliebhabers, Vorbereitungen für einen «Generationen-Zvieri», bei dem alle – Schülerinnen, Schüler und Erwachsene – ihre Talente beweisen und ihr Wissen teilen wollen, usw.

 

Planung und Durchführung

Team zusammenstellen

Ein starkes und motiviertes pädagogisches Team
Zum einen geht es darum, die interessierten Kolleginnen und Kollegen zusammenzubringen, ohne ihnen etwas vorzuschreiben. Je grösser das Projekt wird, desto mehr lohnt es sich, eine mehrköpfige Projektleitung und eine klar definierte Arbeitsgruppe zu haben, die Verantwortung zu verteilen und die wichtigsten Schritte gemeinsam zu planen.

Zuverlässige und begeisterte Pensionierte
Zum anderen ist eine gute Zusammenarbeit mit den am Projekt beteiligten älteren Menschen von entscheidender Bedeutung. In Mont-sur-Rolle ist eine kleine Gruppe von Pensionierten, die im Village solidaire (vgl. Organisation) zusammengeschlossen ist, motiviert, sich regelmässig mit den Schülerinnen und Schülern auszutauschen und sich für Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen (Begleitung bei einem Schulausflug, Bastelarbeiten, Gartenarbeiten usw.). Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auf beiden Seiten tragen zum Erfolg des Projekts bei.

Aktivitäten planen

Das Projekt «Intergenerationeller Austausch» setzt sich aus mehreren Einzelprojekten zusammen. Für jedes von ihnen werden die Treffen und Termine zwischen den Lehrpersonen und den Mitgliedern des Village solidaire im Voraus vereinbart. Der festgelegte Rhythmus berücksichtigt die Bedürfnisse sowohl der Lehrpersonen (Lehrplan) als auch der Pensionierten (Freizeit) und erfordert von beiden Seiten Flexibilität. Beispielsweise tragen sich die Lehrpersonen wöchentlich auf einer Tafel im Lehrerzimmer ein, um während ein bis zwei Lektionen pro Woche von Freiwilligen des Village solidaire unterstützt zu werden. Benötigt kein Kind Hilfe, kommt die pensionierte Person zum Vorlesen oder für eine andere Aktivität. Andere Möglichkeiten sind eine Begleitung bei Schulausflügen, bei kreativen und handwerklichen Aktivitäten, im Gemüsegarten, bei der Zubereitung von Kürbissuppe, beim Dekorieren für das Herbstfest usw.

Aktivitäten vorbereiten und durchführen

Neben den Ideen, die von den Lehrpersonen umgesetzt werden, kommen auch Vorschläge von den pensionierten Dorfbewohnerinnen und  bewohnern, die sich mehr für den Austausch mit den Schulen interessieren. Sie präsentieren die geplanten Projekte des Village solidaire, die sich für einen Austausch zwischen den Generationen eignen. Wenn das Projekt einmal etabliert ist, fällt es den Schülerinnen und Schülern auch leichter, selbst neue Ideen vorzuschlagen und bei deren Umsetzung zu helfen. Jede Aktivität wird nach der Durchführung von den Lehrpersonen und den Beteiligten bewertet: Einige werden fortgesetzt, andere werden verändert oder aufgegeben, vereinfacht oder ausgebaut.

Das Projekt dauerhaft verankern: Motivation und Freude

Die Durchführung und dauerhafte Verankerung eines solchen Projekts erfordert langfristige Investitionen. Das pädagogische Team muss nicht nur hoch motiviert sein. Vor allem muss es von den Vorteilen des intergenerationellen Austauschs, insbesondere für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, überzeugt sein. Auch auf Seiten der Kinder sowie der Pensionierten ist die Freude an der Begegnung von entscheidender Bedeutung für die Weiterführung des Projekts.
Das pädagogische Team plant bereits neue Aktivitäten: einen Spielplatz für Seniorinnen und Senioren gestalten, ein Interviewprojekt mit pensionierten Dorfbewohnerinnen und  bewohnern durchführen, eine gemeinsame Aufführung mit den Mitgliedern des Village solidaire organisieren usw.

 

Organisation

Mitglieder

Die Lehrpersonen arbeiten regelmässig mit einer kleinen Gruppe von Pensionierten aus dem Dorf zusammen, die in einem Village solidaire organisiert sind. Dabei handelt sich um einen Verein, dem rund 30 über 55-jährige Personen angehören, die sich für eine Verbesserung der Lebensqualität und der Integration von älteren Menschen engagieren wollen. Die Bildung dieser Gruppe wird von der Gemeinde unterstützt und das Vorgehen von Pro Senectute Waadt koordiniert. Die Entwicklung des Village solidaire wird von einer Animateurin bzw. einem Animateur für Gemeinschaftsprojekte begleitet, bis die Gruppe selbständig ist. Von den 30 bis 40 Mitgliedern arbeiten einige regelmässig an den Treffen mit den Primarschulklassen mit. Die Anzahl der Beteiligten variiert je nach den Anforderungen der einzelnen Aktivitäten.

Externe Beteiligte sollten Vertrauenspersonen sein und es ist wichtig, die gegenseitigen Erwartungen im Vorfeld klar zu formulieren.

Ort

Je nach Bedarf finden die Treffen im Schulzimmer, im Handarbeitsraum, im Gemüsegarten oder ausserhalb der Schule statt, zum Beispiel im Begegnungsraum des Village solidaire. Zusätzlich zu diesen Begegnungen besuchen die Schülerinnen und Schüler seit mehreren Jahren in der Weihnachtszeit das Alters- und Pflegeheim von Mont-sur-Rolle, um für die Heimbewohnerinnen und ‑bewohner zu singen und die Adventsfenster zu gestalten.

Material

Je nach Aktivität: Bücher für die Schülerinnen und Schüler, Kamishibai-Koffer (Butai) mit Blättern und Stiften, Snacks, Gesellschaftsspiele, Gartenmaterial, Küchenmaterial, z. B. um Kürbisse zu zerschneiden, Material für kleine Bastelarbeiten, die an Weihnachten als Dankeschön verschenkt werden (Seifen und Seifenschalen, Stofftaschen zum Verzieren) usw.

 

Pädagogische Methoden

Literaturwettbewerb

Im Mittelpunkt des Literaturwettbewerbs «Prix Chronos» stehen Geschichten über Generationenbeziehungen. Die Figuren sind im Alter der Schülerinnen und Schüler, was diese sehr anspricht. Jedes Kind liest fünf Bücher und kürt im Anschluss daran seinen persönlichen Gewinner.

Märchen ()

Das Märchenprojekt wurde von einer Praktikantin entwickelt, die bei Pro Senectute für Gemeinschaftsprojekte zuständig ist. Inspiriert wurde sie durch Vorschläge der Mitglieder des Village solidaire, die sie in Mont-sur-Rolle begleitet hat. Zwei pensionierte Damen inszenieren den Einstieg in zwei Märchen, von denen eines ausgewählt wird. Jede Klasse teilt die Geschichte dann so auf, dass sie die Zeichnungen für das Kamishibai – ein japanisches Papiertheater –anfertigen kann. Danach stellt jede Klasse ihr eigenes Kamishibai her. Gleichzeitig werden auch die Pensionierten aktiv: Eine Frau bietet sich an, Kostüme zu nähen, andere stellen den Holzkoffer für das Kamishibai (Butai) her und wieder andere verzieren ihn, bevor sie ihn den Schülerinnen und Schülern schenken. Am letzten gemeinsamen Treffen des Schuljahres findet die grosse Vorführung statt, zu der auch die anderen Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes eingeladen sind. Mitglieder des Village solidaire spielen die kurze Einstiegsszene und dann präsentiert jede Klasse ihr Kamishibai. Ein «Generationen-Zvieri» für Jung und Alt schliesst das Projekt ab

Ökologischer Rundgang

Einmal im Monat werden die Klassen und die pensionierten Dorfbewohnerinnen und ‑bewohner in Gruppen aufgeteilt und begeben sich auf einen ökologischen Rundgang. Die Themen des Rundgangs reichen von Bodenqualität über Biodiversität bis hin zu Abfall und Landschaft.

Gesellschaftsspiele

Schülerinnen und Schüler und Pensionierte treffen sich am Mittwochnachmittag zu Gesellschaftsspielen. Die Seniorinnen und Senioren begrüssen die Kinder in ihrem Lokal und lassen sich dabei auf die Herausforderung ein, alle Schülerinnen und Schüler einzubeziehen und sich von ihrer Lebendigkeit mitreissen zu lassen.

Pädagogische Begleitung

Freiwillige Helferinnen und Helfer begleiten Gruppen auf Schulausflügen, helfen bei kreativen und handwerklichen Aktivitäten oder im Gemüsegarten, bieten ein bis zwei Lektionen pro Woche Nachhilfe an usw.

 

Beurteilung

Die Treffen selbst werden nicht evaluiert. Ebenso werden die Aktivitäten nicht in Form von Lernzielen beschrieben. So soll sichergestellt werden, dass der Austausch unbeschwert erlebt werden kann und der Schlüsselbegriff das Vergnügen bleibt. Das Projekt berührt aber trotzdem zahlreiche Ziele des Lehrplans und es sind vor allem die Inputs auf der menschlichen Ebene, die seinen Wert ausmachen und die in schulischeren Momenten evaluiert werden können.

Die Schülerinnen und Schüler…

  • drücken sich aus, indem sie ihre Sprache dem Kontext und der Gesprächspartnerin oder dem Gesprächspartner anpassen.
  • erforschen während und nach Gesprächen mit älteren Menschen Ereignisse aus der Vergangenheit, setzen sich mit der Gegenwart auseinander und blicken in die Zukunft.
  • sprechen und reflektieren in der Klasse über ihre Beziehungen zu Eltern und Grosseltern.
  • stärken ihre Kompetenzen der Zusammenarbeit, auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen.
  • hinterfragen den Konsum in der Vergangenheit und heute, z. B. die Nutzung von Mobiltelefonen.
  • entwickeln ihre Kreativität (Kamishibai-Zeichnungen, Weihnachtsbasteleien usw.).
  • üben Lesen und Leseverständnis und machen sich mit der Textgattung der Märchen vertraut.

Herausforderungen für den/die Befragte/n

  • Pensionierte Menschen sind oft nicht an Interaktionen mit Schülerinnen und Schülern gewöhnt und haben einen anderen Rhythmus als die Schule. Die Lehrperson muss sie regelmässig (neu) motivieren, den Rahmen (neu) festlegen und die Aktivitäten strukturieren.
  • Zu Beginn des Projekts fanden die Aktivitäten (Austausch, Zeichnen, Singen) im Alters- und Pflegeheim statt. Eine Interaktion mit den Bewohnenden war dort aber nur eingeschränkt möglich (Probleme mit Taubheit, Inkontinenz, lockeren Prothesen usw.). Die Lehrpersonen sprachen daraufhin mit der Gemeinde, die ein «Village solidaire» entwickeln wollte.
  • Es kommt vor, dass das Duo zwischen den älteren Menschen und den Schülerinnen und Schülern nicht funktioniert und die Paare ausgetauscht werden müssen.
  • Während der Covid-19-Pandemie wurde der Austausch über Zoom zwar weitergeführt, war aber weniger herzlich.
  • Ein Projekt dieser Grössenordnung erfordert langfristige Investitionen mit dem Risiko, dass alles rasch versandet. Es braucht eine starke, klar definierte und hoch motivierte Arbeitsgruppe mit einer strukturierten Aufgabenverteilung.

Einfach umzusetzen

Dieses Projekt kann auch anderswo durchgeführt werden. Mehrere einfach umsetzbare Aktivitäten ermöglichen einen qualitativ hochwertigen Austausch zwischen Schülerinnen und Schülern und älteren Menschen. Der Schlüssel dazu sind regelmässige Treffen.

Die grösste Herausforderung besteht darin, pensionierte Menschen zu finden, die sich bereit erklären, in die Klassen zu gehen, und die motiviert sind, sich regelmässig mit den Schülerinnen und Schülern auszutauschen. Eine bereits bestehende Gruppe ist von Vorteil. Die Methodik zur Bildung eines solidarischen Quartiers oder eines solidarischen Dorfes gibt es in allen drei Landessprachen, doch das Projekt wurde vor allem im Kanton Waadt weiterentwickelt. Einige Kantone bieten Projekte wie «Senioren in den Klassenzimmern» an.

Das Projekt in Mont-sur-Rolle wird immer umfangreicher, da das pädagogische Team die Aktivitäten von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, bereichert und weiterführt. Auch das Team wird mit der Zeit immer grösser. Dieses Ergebnis lässt sich mittelfristig erreichen. Es ist durchaus denkbar, zunächst alleine mit einer Klasse zu beginnen und dann gegebenenfalls interessierte Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen.

Dokumente zum Download

Commune de Mont-sur-Rolle

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In Kürze

Schlüsselwörter
Solidarität
Typ
In der Klasse
Schulstufe
Mitglied des Schulnetz21
Ja
Anzahl der Klassen
2
Ort
Mont-sur-Rolle
Kanton
Zeitlicher Aufwand
Langfristig
Dauer
1 Lektion pro Woche (im Durchschnitt)
Vorbereitungszeit
Entspricht der Zeit für die Vorbereitung einer Lektion, zuzüglich der Zeit für die Absprache mit externen Partnerinnen und Partnern
Kosten

Je nach Aktivität fallen Kosten für Verbrauchsmaterial an, vor allem für Basteln, Gartenarbeit, Nähen usw.

Form der Bewertung
formativ