Interview Austausch und BNE
Mit Daniel Plancic, Bereichsleiter Berufsbildung, Erwachsenenbildung und Jugendarbeit bei Movetia und Isabelle Bosset, wissenschaftliche Mitarbeiterin und BNE-Expertin bei éducation21.
Ein anderer Blick auf die Welt

In Austausch- und Mobilitätsprojekten entwickeln Schülerinnen und Schüler verschiedene Kompetenzen. Wie sieht das aus BNE-Perspektive aus? Im Interview vertiefen wir das Thema mit Daniel Plancic (Movetia) und Isabelle Bosset (éducation21) und geben konkrete Tipps für Lehrpersonen.
Welche Kompetenzen kann eine Schülerin / ein Schüler in einem Austauschprojekt entwickeln?
Daniel Plancic: Ein Austausch ist die ultimative Lernerfahrung. Die Schülerin erweitert ihr Bewusstsein für andere Kulturen, fördert kommunikative und sprachliche Fähigkeiten und stärkt die Persönlichkeit durch mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation. Gleichzeitig entwickeln Schülerinnen und Schüler ein tieferes Verständnis für globale Zusammenhänge und lernen, sich schnell auf neue Situationen einzustellen. Abgesehen davon bin ich gerade im Bereich der Berufsbildung davon überzeugt, dass auch fachliche Kompetenzen in einem Austausch angeeignet oder gefestigt werden können.
Isabelle Bosset: In einem Austauschprojekt können unzählige Kompetenzen entwickelt werden: Empathie, Reflexion über Werte oder etwa Selbstvertrauen durch erfolgreichen Umgang mit den unvermeidlichen Unwägbarkeiten eines solchen Projekts. Ob und wie Kompetenzen während eines Austauschs entwickelt werden, hängt aber davon ab, wie dieser von den Personen, die ihn betreuen und begleiten, durchdacht, vorbereitet und konzipiert wurde. Es geht also nicht so sehr darum, welche Kompetenzen ein Austausch ermöglicht, sondern vielmehr darum, unter welchen Bedingungen er als Vehikel für die Entwicklung von Kompetenzen dienen kann. Diese Kompetenzen gilt es zu definieren und vollständig und bewusst in das Projekt zu integrieren.
«Reisen bedeutet, Bildung ganz praktisch zu erfahren»
Welche Wechselwirkungen bestehen allgemein zwischen Reisen und Bildung?
Daniel Plancic: Ich würde Reisen mal plakativ als «Lernen durch Erleben» bezeichnen. Reisen bedeutet, Bildung ganz praktisch zu erfahren: Neue Eindrücke regen zum Nachdenken an, fördern kritisches Hinterfragen und unterstützen die persönliche Weiterentwicklung. Durch die Konfrontation mit anderen Lebensweisen und Herausforderungen kann schulisches Wissen direkt in realen Kontexten angewendet und reflektiert werden. Ausserdem bietet der besuchte Ort einen spannenden Gegenentwurf zur eigenen Lebenswelt zu Hause.
Isabelle Bosset: Der Philosoph Michel de Montaigne sagte: «Les voyages forment la jeunesse», Dichter Goethe sprach davon, dass: «Reisen bildet». Intuitiv glauben wir auch heute noch, dass die physische Bewegung eine kognitive und emotionale Bewegung induziert, die zu einer Form der Bildung führen kann. Es muss jedoch präzisiert werden, um welche Art von Reise (vom Junggesellinnenabschied in Barcelona über die mehrmonatige spirituelle Einkehr in Indien oder die dreijährige Weltreise bis zum All-inclusive Standurlaub) und um welche Art von Bildung es sich handelt. Deren Formen und Ziele können sich ebenfalls stark unterscheiden, z. B. zwischen formaler, informeller und nicht-formaler Bildung.
«Ob und wie Kompetenzen während eines Austauschs entwickelt werden,
hängt aber davon ab, wie dieser von den Personen, die ihn betreuen und begleiten,
durchdacht, vorbereitet und konzipiert wurde.»
Was braucht es konkret, damit Schülerinnen und Schüler in einem Austauschprojekt Kompetenzen im Sinne einer BNE entwickeln?
Isabelle Bosset: BNE bietet verschiedene pädagogische Methoden, die das ermöglichen können. So kann beispielsweise der Austausch explizit in den Unterricht integriert, ein Thema aus der Nachhaltigkeit wie z. B. Wasser, dazu behandelt und der Austausch auch wieder nachbesprochen werden (siehe unten Infobox).
Daniel Plancic: Persönlich denke ich, dass es dann wirklich spannend wird, wenn nachhaltiges Handeln erlebbar gemacht wird. Es braucht klare Lernziele, die auf BNE ausgerichtet sind, sowie strukturierte Reflexionsphasen, in denen persönliche Erfahrungen gemeinsam ausgewertet werden. Praktische Projekte und Begegnungen vor Ort helfen, ökologische, soziale und wirtschaftliche Themen ganzheitlich zu begreifen, damit sie im Alltag verantwortungsvoll umgesetzt werden können.
«Praktische Projekte und Begegnungen vor Ort helfen, ökologische,
soziale und wirtschaftliche Themen ganzheitlich zu begreifen»
Entwickelt ein Austauschstudent eine andere Sichtweise und einen anderen globalen Ansatz der Welt und der Gesellschaft als jemand, der es vorzieht, in der Schweiz zu studieren?
Daniel Plancic: Ja, denn wer eine Zeit lang im Ausland lebt, gewinnt oft eine neue Perspektive auf globale Fragestellungen und entdeckt alternative Lebens- und Denkweisen. Diese Erfahrungen fördern Weltoffenheit und kritisches Hinterfragen des Gewohnten, was langfristig zu einem breiteren Verständnis für gesellschaftliche Zusammenhänge führt. Die internationalen Freundschaften, die ich in meinem Austauschjahr vor über zwanzig Jahren geschlossen haben, sind enorm wertvoll und helfen auch nach langer Zeit den Perspektivenwechsel vorzunehmen.
Isabelle Bosset: Dabei spielen viele individuelle Faktoren wie Selbstvertrauen, Vorerfahrung oder Motivation, aber auch Umweltfaktoren wie die Aufnahme der Studentin, des Studenten im Gastland, die Dauer des Austauschs oder die Lebensbedingungen eine Rolle. Einige dieser Faktoren entziehen sich unserer Kontrolle, während andere bis zu einem gewissen Grad vorbereitet und optimiert werden können. Hier kommen die in den vorherigen Fragen erwähnten Punkte ins Spiel!
«Um den ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen
unserer Zeit gerecht zu werden, muss die Berufsbildung
verschiedene Aspekte von Nachhaltigkeit und BNE integrieren»
Welche Aspekte der Nachhaltigkeit werden in Zukunft in der Berufsausbildung wichtig sein?
Isabelle Bosset: Um den ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden, muss die Berufsbildung verschiedene Aspekte von Nachhaltigkeit und BNE integrieren. Die Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energien sind beispielsweise Schlüsselelemente des ökologischen Aspekts. Wie wir uns an einen sich verändernden Arbeitsmarkt (Digitalisierung, künstliche Intelligenz, «grüne» Arbeitsplätze) anpassen können ist ein weiterer Aspekt. Dies setzt neues Wissen, neue Kompetenzen und parallel dazu neue pädagogische Methoden und Ausbildungskonzepte voraus. Die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz insbesondere von Auszubildenden, die Chancengleichheit oder auch die soziale Verantwortung von Unternehmen sind weitere Elemente.
Daniel Plancic: Zentrale Themen werden ressourcenschonendes Handeln, Kreislaufwirtschaft und soziale Verantwortung sein. Wir haben uns im Zusammenhang mit der neuen BFI-Periode vorgenommen, genauer zu untersuchen inwiefern Austausch und Mobilität die Chancengerechtigkeit in der Berufsbildung fördern kann. Gerade in Zeiten des digitalen Wandels kommt es darauf an, (junge) Menschen zu qualifizieren, nachhaltig und zukunftsorientiert zu denken, damit Unternehmen wie Gesellschaft gleichermassen profitieren.
InfoboxAustausch und BNE: Inputs für Lehrpersonen BNE schlägt konkrete pädagogische Methoden vor, um «nachhaltige Entwicklung» in Schule und Unterricht einzubeziehen, deren Vision ein «gutes Lebens» für alle, hier und anderswo, heute und morgen ist. Im Rahmen eines Austauschs im Sinne der BNE ginge es also darum:
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