Jenseits des Privateigentums: Alternativen zugunsten der Nachhaltigkeit erforschen

Fokus

Fokus | DR. ISABELLE BOSSET

Für uns ist Privateigentum normal: Ein Grundstück, ein Auto oder einen einfachen Rasenmäher zu besitzen, schockiert niemanden. Die Eigentümerinnen und Eigentümer, ob Privatpersonen oder Unternehmen, nutzen ihren Besitz nach Belieben. Privateigentum spielt aber bei vielen Nachhaltigkeitsproblemen – Wohlstandsgefälle, Bodenverarmung – eine wichtige Rolle. Es lohnt sich also, über alternative Eigentumsverhältnisse und eine Verwaltung von Gemeingütern nachzudenken, die potenziell besser mit der Nachhaltigkeit zu vereinbaren sind.

Andere geografische Räume, andere Eigentumsverhältnisse

Ethnologinnen und Ethnologen, die andere Gesellschaften untersuchen, zeigen auf, dass Privateigentum nicht in allen sozialen Gruppen eine zentrale Rolle spielt. Für einige ist das Teilen und Verschenken von Gegenständen – z. B. Werkzeugen – gang und gäbe. Andere kennen bezüglich Boden, Tieren und Pflanzen kein Privateigentum: Sie betrachten den Menschen als Teil der Natur, pflegen eine heilige Beziehung zur Erde und glauben, dass das Wissen über die natürlichen Ressourcen kollektiv und dauerhaft an zukünftige Generationen weitergegeben werden muss.

Die Geschichte als Inspiration für einen anderen Umgang mit Gemeingütern

Land war in England während Jahrhunderten nicht privat. Alle hatten Nutzungsrechte und durften
z. B. Tiere jagen oder Heilkräuter sammeln. Die Rechte an diesen «Land of Commons» – oder Allmenden – gründeten auf dem Bedürfnis, die Regenerationsfähigkeit der gemeinsamen Ressourcen zu erhalten, und dem Streben nach Gleichbehandlung. Die Allmenden waren auch ein Ort, wo soziale Bindungen geknüpft wurden. Dieses Modell wurde jedoch von Lords, Kirchen und Manufakturen infrage gestellt, als sie diese Flächen zu ihrem Vorteil einfriedeten.

Beziehung zu Nachhaltigkeit und BNE

Diese Beispiele, die aus unterschiedlichen geografischen und historischen Kontexten stammen, zeigen andere Eigentumsverhältnisse und Umgangsweisen mit Gemeingütern, die potenziell zum Aufbau einer nachhaltigeren Welt beitragen können. Im Unterricht können sie als Ausgangspunkt dienen, um den im Rahmen der BNE geforderten Perspektivenwechsel zu fördern. Nachfolgend finden Sie einige weitere Ideen, um das Interesse der Schülerinnen und Schüler für das Thema Eigentum und Gemeingüter im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zu wecken:

1. Sich die Werte anderer Eigentumsverhältnisse vorstellen

Indem die Schülerinnen und Schüler die Konsum- und Produktionsmuster unserer westlichen Gesellschaften, aber auch unsere Vorstellungen und Werte unter die Lupe nehmen, können sie Verbindungen zu ökologischen und sozialen Notsituationen herstellen. Der Dualismus zwischen Mensch und Natur kann z. B. zu Überlegungen zu unserem Verhältnis zum Lebendigen und zu seinem möglichen Einfluss auf die (Über-)Ausbeutung der natürlichen Ressourcen führen. Werte wie Verdienst und Arbeit, die unsere Gesellschaft prägen, können im Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung von Reichtum und Eigentum überdacht werden. Auf dieser Grundlage lernen die Schülerinnen und Schüler, sich eine wünschenswerte Zukunft vorzustellen und die Werte zu benennen, auf denen diese beruhen würde. Daraus lassen sich Verbindungen zu den Werten herstellen, die ihr Leben in der Klasse und der Schule prägen: teilen, gegenseitige Hilfe, Zusammenarbeit, Inklusion, Umweltschutz, Solidarität, Durchmischung usw.

2. Den Umgang mit «grossen» Gemeingütern hinterfragen

Klima, Amazonas, Pole, Ozeane, Luft, Boden und Ökosysteme: Sie alle sind Beispiele für «grosse» Gemeingüter (Coriat, 2015), weil ihr Zustand und ihre negativen und/oder positiven Auswirkungen alle Menschen betreffen. Der Umgang mit ihnen, vor allem im Rahmen der COP (Conference of the Parties), ist schwierig, da die Interessen der verschiedenen Akteure und die Prioritäten im Zusammenhang mit den Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Gesellschaft, Ökonomie, Raum und Zeit – komplex und die diskutierten Lösungen widersprüchlich sind. Es lohnt sich daher, diese anhand von Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Verhältnis zum Eigentum und zum Umgang mit Gemeingütern zu überdenken:

  • Eigentum und Nutzung: Wem gehört der Boden? Wer profitiert von einem Ökosystem?
  • Recht und Zugang: Wer hat das Recht, über die Pole zu bestimmen? Dürfen wir mit den Ozeanen machen, was wir wollen? Wer hat Zugang zu sauberer Luft?
  • Verantwortung: Wer ist für das Klima verantwortlich?
  • Kommerzialisierung: Dürfen wir mit Gemeingütern handeln? Gibt es «grosse» Gemeingüter, die nicht handelbar sind?

3. Initiativen zum Umgang mit Gemeingütern erkunden

Die kollektive Verwaltung von Gemeingütern (Ostrom, 2010) beruht auf acht grossen Prinzipien. Kurz gesagt, bedingt sie klar definierte Grenzen, (Nutzungs-)Rechte und (Erhaltungs-)Pflichten der Begünstigten sowie eine Governance-Struktur. Es gibt heute viele lokale Initiativen, die sich auf dieses Modell stützen. Die Lehrperson kann ihren Schülerinnen und Schülern das nachfolgende Beispiel vorstellen und sie auffordern, weitere Beispiele zu finden. Im Sinne des Whole School Approach können die Schülerinnen und Schüler allenfalls neue Regeln für das Zusammenleben und die kollektive Verwaltung der Gemeingüter ihrer Schule festlegen.

Beispiel: La Manivelle in Genf ist eine Bibliothek der Dinge, die neue Eigentumsmodelle in Verbindung mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit erkunden will. Die Mitglieder können Dinge, die man nicht täglich benötigt (Garten- oder andere Werkzeuge, Camping-Zubehör usw.), ausleihen, statt sie zu kaufen. Auf diese Weise bekämpfen sie den Konsumismus, unterstützen die Abfallvermeidung und leisten einen Beitrag zu einem einladenden und integrativen Ort. Die Behandlung eines so umfassenden und komplexen Themas wie Privateigentum und Umgang mit Gemeingütern im Kontext der Nachhaltigkeit erfordert Geduld und Bescheidenheit. Dies gilt nicht nur für die Arbeit der Lehrpersonen, sondern auch für die Entwicklung von Kompetenzen wie Perspektivenwechsel, Hinterfragen von Werten oder auch das Sichvorstellen einer wünschenswerten Zukunft bei den Schülerinnen und Schülern.