Wenn Nachhaltigkeit ins Klassenzimmer einzieht
08.12.2025
Austausch mit Mirco Sarac, Lehrperson an der Scuola media Riva San Vitale
Von Glühbirnen über Energieeffizienz bis hin zum Japankäfer: In der der Scuola media Riva San Vitale (TI) ist der Ausgangspunkt des Unterrichts immer die Alltagswelt der Jugendlichen. Für Mirco Sarac, Lehrer für Naturwissenschaften, ist Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) kein Zusatz, sondern ein unverzichtbares Prinzip.
«Die Schülerinnen und Schüler sind sehr empfänglich für Themen der Nachhaltigkeit, vor allem wenn man ihnen nicht die üblichen «klassischen» nachhaltigen Verhaltensweisen wie Licht ausschalten, kurz duschen, den Wasserhahn beim Zähneputzen zudrehen, lokal essen präsentiert», erzählt Mirco Sarac, Lehrer an der Scuola media Riva San Vitale. Am Telefon berichtet er über seine Klassen und die Aktivitäten, die er im Unterricht anbietet. «Die Lernenden entwickeln ein Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung, wenn man sie mit einer praktischen Aufgabe konfrontiert, die möglichst eng mit ihrem Alltag verbunden ist und ein klares Ziel hat.»
Praxisorientierter Unterricht
Seit acht Jahren unterrichtet Mirco Sarac Naturwissenschaften an der Scuola Riva San Vitale. Aus seinem Klassenzimmer, unweit des Luganersees, spricht er begeistert über Projekte und Lernwege, die über klassische Experimente, Formeln und physikalische Gesetzmässigkeiten hinausgehen und sein Fach mit der Lebensrealität der Jugendlichen verknüpfen. Die Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse lässt er beispielsweise nicht einfach Glühbirnen und Energieverbrauch vergleichen, sondern stellt sie vor eine reale Aufgabe: «Wie können wir die Energieeffizienz unserer Schule verbessern und dadurch Energieverbrauch und Kosten senken?» Um diese Frage zu beantworten, müssen sie die energetische Effizienz des Schulgebäudes analysieren und anhand der erworbenen Kenntnisse Vorschläge zur Verbesserung erarbeiten.
«Die Lernenden entwickeln ein Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung, wenn man sie mit einer praktischen Aufgabe konfrontiert, die möglichst eng mit ihrem Alltag verbunden ist und ein klares Ziel hat.»
Seine Sensibilität für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) entstand während seiner Ausbildung am Dipartimento Formazione e Apprendimento (DFA). Anfangs entwickelte er spezifische Aktivitäten zu den Themen Klima, Abfall oder Energie. Mit der Zeit und wachsender Erfahrung erkannte er jedoch, dass das nicht ausreicht. «Mir wurde bewusst, dass es viel wirkungsvoller ist, BNE in Lernwege und Projekte zu integrieren, die von einer Problemsituation ausgehen. In einem Fach wie Naturwissenschaften ist Nachhaltigkeit kein Zusatz, sondern ein unverzichtbares Prinzip.»
Die methodische Ausrichtung von Sarac basiert auf dem Lehrplan der Volksschule des Kantons Tessin, der sich auf drei grundlegende Komponenten stützt: die Fachbereiche, die überfachlichen Kompetenzen und die Allgemeinbildung. Gerade die Allgemeinbildung behandelt «Bildungsthemen von grosser Tragweite wie Kultur und Gesellschaft, natürliche Umwelt und Ressourcen, Gesundheit und Wohlbefinden, Wirtschaft und Konsum». Es sind also Themen, zu denen alle Fächer beitragen sollen und die – wie Sarac betont – «Voll und ganz mit der kantonalen und bundesweiten Vision der Bildung für Nachhaltige Entwicklung übereinstimmen».
«Dank ihres Wissens aus der Schule können sie mit ihren Eltern über nachhaltige Alternativen diskutieren»
Der Weg zu bewussten Entscheidungen
«Die Kenntnisse und Kompetenzen, die im Unterricht erworben werden, helfen den Jugendlichen, sich im Alltag zu orientieren. Ich bitte sie, ihre Eltern zu fragen, wie die Heizung zu Hause funktioniert. Dank ihres Wissens aus der Schule können sie mit ihnen über nachhaltige Alternativen diskutieren.» Dieser Ansatz findet sich in den schweizerischen Lehrplänen und zielt darauf ab, dass sich Heranwachsende informieren, sich eine Meinung bilden und an Entscheidungen, die ihren Alltag betreffen, mitwirken – wobei schulisches Lernen mit dem familiären und sozialen Umfeld verbunden wird. «Ich bin überzeugt, dass die Lernenden so für zukünftige Entscheidungen die nötigen Werkzeuge haben, um verschiedene Optionen zu beurteilen – vor allem hinsichtlich Nachhaltigkeit, aber auch unter sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten.»
In diesem Prozess spielt éducation21 eine zentrale Rolle: Das nationale Kompetenzzentrum für Bildung für Nachhaltige Entwicklung stellt Unterrichtsmaterialien, Bildungsaktivitäten und ausserschulische Angebote für alle Schulstufen zur Verfügung. «Diese Angebote lassen sich leicht in die Praxis integrieren, weil sie der Logik des Lehrplans folgen und gleichzeitig genügend Freiraum lassen, um sie an die eigene Klasse und den persönlichen Unterrichtsstil anzupassen». Zudem bietet éducation21 jährliche Weiterbildungen an, die Lehrpersonen an BNE heranführen oder Erfahrenen neue Perspektiven eröffnen.
Beobachten, analysieren, handeln: Lernen im Sinne der BNE
Das Themendossier «Schulgarten: ein lebendiges Schulareal!» lädt beispielsweise dazu ein, den Pausenraum zu erkunden und ihn in einen Lernort und Labor zu verwandeln, in dem die Lernenden personale, soziale und methodische Kompetenzen erwerben können.
«Es ist entscheidend, dass die Projekte eine konkrete und messbare Wirkung haben.»
Dieses Jahr thematisierte Sarac mit der ersten Klasse den Japankäfer, eine invasive Art. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern untersuchte er das Insekt, seine Auswirkungen im Tessin und die vom Kanton eingesetzten Bekämpfungsstrategien. Das Projekt beschränkte sich nicht auf den Unterricht im Klassenzimmer: Ausgangspunkt war eine Outdoor-Aktivität, bei der die Lernenden das Insekt in seiner Umgebung beobachteten und das Schulareal analysierten, um mit geeigneten Massnahmen seine Verbreitung einzudämmen. Das ist ein typischer Ansatz der handlungsorientierten Didaktik und des projektorientierten Lernens – ganz im BNE- Verständnis von éducation21 und des kantonalen Lehrplans.
«Es ist entscheidend, dass die Projekte eine konkrete und messbare Wirkung haben. Wenn wir die Biodiversität des Schulareals analysieren, um seinen ökologischen Zustand zu verstehen, dann müssen wir auch wirklich einheimische Blumen und neue Bäume pflanzen, ungenutzte Flächen für Insekten schaffen oder einen Garten anlegen, der einen biologischen – nicht nur ästhetischen – Nutzen bringt.»
«Ich erwarte – und hoffe –, dass die Jugendlichen ein echtes Bewusstsein für ihre Umwelt entwickeln.»
Zu gesellschaftlicher Teilhabe befähigen
Zum Ende des Gesprächs kehren wir zur zentralen Frage zurück: Welche Art von gesellschaftlichen Mitgliedern verlassen das Klassenzimmer? «Ich erwarte – und hoffe –, dass die Jugendlichen ein echtes Bewusstsein für ihre Umwelt entwickeln. Dass sie verstehen, dass jede Handlung Folgen hat und dass Nachhaltigkeit eines der Kriterien ist, die sie bei Entscheidungen berücksichtigen.» Sarac wünscht sich, dass diese Sensibilität Teil ihres Blicks auf die Welt wird. Dass sie lernen, Fragen zu stellen, Alternativen abzuwägen und die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen. «Es geht nicht darum, eine Liste guter Praktiken zu vermitteln», schliesst er, «sondern darum, junge Menschen zu befähigen, die Komplexität ihrer Lebenswelt lesen, verstehen und wertschätzen zu können – und die Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen.»